Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us Read online




  BIANCA IOSIVONI

  Finding Back to Us

  Roman

  Inhalt

  Titel

  Zu diesem Buch

  Widmung

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  3

  4

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  7

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  21

  22

  Epilog

  Danksagung

  Die Autorin

  Impressum

  Zu diesem Buch

  Nein. Einfach nein. Konnte bitte jemand die Zeit zurückdrehen? Denn ich wollte das hier nicht erleben. Nicht jetzt, nicht heute, niemals. Inzwischen hämmerte mein Herz so schnell, dass es mich nicht überrascht hätte, wenn es aus meinem Brustkorb geklettert und davongelaufen wäre. Das hätte ich ja am liebsten selbst getan. Einfach auf dem Absatz kehrtgemacht, mich wieder ins Bett gelegt und so getan, als wäre das hier niemals passiert. Als wäre nicht ausgerechnet mein Stiefbruder nach Hause zurückgekehrt. Der Mann, den ich seit sieben Jahren nicht mehr gesehen hatte. Der Mann, der meinen Vater auf dem Gewissen hatte.

  Für alle, die Träume haben.

  Verwirklicht sie.

  1

  Ich würde nie erfahren, was Meghan Trainor mit Marvin Gaye trieb, denn als ihre Stimme ertönte, zog ich mir die Kopfhörer aus den Ohren. Nach einer schier endlosen Runde auf der Rollbahn kam das Flugzeug endlich zum Stehen. Die Leute um mich herum sprangen aus ihren Sitzen, als hätte jemand Bombe! gerufen. Am liebsten wäre ich auch losgerannt, nur um hier rauszukommen. Die Enge um mich herum, die vielen Menschen und das seit Stunden kreischende Kleinkind zwei Reihen hinter mir zerrten an meinen Nerven. Meine Finger kribbelten vor Aufregung, während ich meinen iPod in der Jackentasche verstaute. Gleichzeitig nahm ich mir vor, Parker zu fragen, was er sich dabei gedacht hatte, mir diese Playlist anzudrehen. Adele? Sam Smith? Ed Sheeran? Sah ich aus wie jemand, der sein gebrochenes Herz mit kitschiger Musik zusammenflicken musste? Die Girlpower-Lieder, die zwischendurch auftauchten, machten es leider auch nicht besser. Was war aus den guten alten Klassikern geworden? Den Oldies, die ganze Generationen bewegt hatten und noch heute Kultstatus genossen?

  In diesem Moment schob sich ein Teenager an mir vorbei durch den schmalen Gang. Aus seinen überdimensionalen Kopfhörern schallte für alle hörbar ein Hip-Hop-Song. Ich stöhnte innerlich. Ich war eindeutig im falschen Jahrhundert geboren worden.

  Meine vollgepackte Umhängetasche hielt ich wie einen Schutzschild vor mich, während ich den anderen Passagieren aus dem Flugzeug folgte. Als ich endlich bei der Gepäckausgabe ankam, hatte mein Handy bereits dreimal vibriert. Eine Nachricht von Parker, die ich nach diesem Musikdesaster geflissentlich ignorierte, und zwei von Faye, die mich abholen kommen wollte und bereits vor dem Flughafen auf mich wartete. Ich tippte eine schnelle Antwort, dann steckte ich das Handy weg.

  Während sich das Förderband in Bewegung setzte, zog ich mir die Jeansjacke aus und hängte sie über meine Tasche. Im Flugzeug hatte ich gefroren, aber hier reichten mein ärmelloses Kleid und meine braunen Stiefel völlig aus, zumal es draußen noch wärmer sein würde. Ich hatte schon beinahe vergessen, wie heiß die Sommer in Alabama werden konnten.

  Die ersten Koffer rollten an mir vorbei. Es war erstaunlich – und erschreckend –, wie viele Menschen sich hier versammelt hatten. Waren sie etwa alle mit mir im selben Flieger gewesen? Ich blickte in erschöpfte und aufgeregte Gesichter, hörte das Summen von Gesprächen und sah zwei kleinen Kindern nach, die im Zickzack an den Leuten vorbeirannten und sich nicht von dem Gefluche eines Anzugträgers stören ließen, der Anweisungen in sein Handy bellte. Nur ein paar Schritte von mir entfernt hatte sich sogar jemand mit Laptop auf den Knien auf sein Handgepäck gesetzt und hämmerte auf die Tastatur ein. Vermutlich sollte ich das Gleiche tun, allerdings mit meinen Mitschriften aus dem Seminar, in dem ich dieses Semester gnadenlos durchgefallen war: Biochemie. Allein der Gedanke daran verursachte mir Magenschmerzen.

  Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und suchte nach dem dunkelroten Etwas, das mein Gepäck darstellte. Weitere Koffer wurden ausgespuckt und landeten klappernd auf dem Förderband. Lila, schwarz, schwarz, dann ein Saxofonkoffer, den der Mann neben mir ergriff. Sehr gut. Einer weniger. Etwas Rotes blitzte auf, dann verschwand es um die nächste Kurve. Oh nein. Nein, nein, nein. War mein Gepäck etwa an mir vorbeigezogen, ohne dass ich es bemerkt hatte? Ich setzte mich in Bewegung, schob mich an den Wartenden vorbei und murmelte eine Entschuldigung, wenn ich irgendjemandem aus Versehen auf die Zehen trat. Aber mein Koffer rollte mir gerade davon!

  Ich beschleunigte meine Schritte, sprang über eine herumliegende Tasche und wich einem Paar aus, das sich in diesem Moment umdrehte. Gleich hatte ich ihn. Nur noch ein paar Meter, bevor mein Koffer wieder im Gepäcknirwana verschwand. Ich streckte die Hand aus, schnappte danach – und fasste ins Leere. Er tuckerte einfach weiter, aus meiner Reichweite und gleich auch aus meinem Blickfeld. Ich sah mich schon hinterherhechten und mitsamt Koffer dorthin verschwinden, wo noch nie zuvor ein Mensch gewesen war. Doch im letzten Moment packten zwei Hände die Tragegriffe, hoben den Koffer vom Band und stellten ihn auf den Boden. Ich kam schlitternd zum Stehen. Mein Blick wanderte von dem Gepäckstück aufwärts, über lange Beine, die in einer zerrissenen Jeans steckten, und ein dunkelgraues T-Shirt mit einem verwaschenen Aufdruck, das sich um breite Schultern spannte, bis ich in das Gesicht eines Fremden schaute.

  Braune Augen unter tiefliegenden Brauen, umrahmt von so dichten Wimpern, dass ich dafür morden würde, erwiderten meinen Blick. Schwarze Haare fielen ihm leicht gelockt in die Stirn und könnten mal wieder einen Schnitt vertragen. Zusammen mit dem dunklen Bartschatten und dem olivfarbenen Hautton machte er den Eindruck eines Vagabunden. Der abgenutzte Rucksack, den er über einer Schulter trug, verstärkte dieses Bild noch. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass es sich dabei um einen Armeerucksack handelte.

  »Danke«, brachte ich hervor, noch immer überrascht von seinem beherzten Eingreifen. Und davon, wie groß dieser Mann war. Trotz meiner Größe von knapp ein Meter siebzig und den Absätzen an meinen Stiefeln musste ich den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können.

  »Gern geschehen.« Er lächelte. Es war nicht dieses knappe Lächeln, das man Fremden zuwarf, bevor man wieder seines Weges ging, aber auch keines, das seine Augen zum Leuchten brachte. Vielmehr wirkte er vorsichtig, als wüsste er nicht genau, was er von mir halten sollte.

  Nun, damit war er nicht allein. Auf eine raue Art war dieser Kerl durchaus attraktiv, daran bestand kein Zweifel. Das leichte Flattern in meiner Magengrube war eine natürliche, rein biologische Reaktion, die ich ignorieren konnte. Anders sah es dagegen mit diesem unbestimmbaren Gefühl in meinem Bauch aus. Irgendwie kam mir dieser Mann bekannt vor, obwohl ich nicht wusste, wo ich ihn schon einmal gesehen haben könnte. Stand ich vor einer Berühmtheit, die ich nicht erkannte? Wäre zumindest nicht das erste Mal. Aber wer er auch war, mir fielen weder sein Name noch etwas anderes ein, an dem ich ihn festmachen konnte.

  »Das klingt jetzt bestimmt wie eine schlechte Anmache«, begann ich und verzog im selben Moment das Gesicht. Wenn man schon so anfing, konnte es nur in einem Desaster enden. »Aber kennen wir uns irgendwoher?«

  Seine Brauen wanderten in die Höhe und verschwanden unter seinem dunklen Haar. Oh nein. Hatt
e ich ihn etwa mit meinem fehlenden Wissen beleidigt? Müsste ich ihn kennen? Panisch durchforstete ich mein Hirn nach irgendetwas, das mich an seinen Namen, Beruf und Bekanntheitsgrad erinnerte. Traurige Tatsache war jedoch, dass ich mir so gut wie keine Namen von Schauspielern, Realitystars oder sonstigen Berühmtheiten merken konnte. Im Musikbereich wusste ich viel über die Künstler, die ich mochte, und zumindest die Namen der Sänger und Bands, die Parker mir immer wieder anzudrehen versuchte, aber das war’s auch schon. Wobei ich mir nicht vorstellen konnte, dass dieser Kerl als DJ in der Wüste irgendwelche Hip-Hop- oder Techno-Beats auflegte. Oder in einer Survivalsendung mitspielte. Wenn ich mir allerdings seinen tarnfarbenen Rucksack ansah …

  »Glaubst du das denn?«, konterte er nach einem Moment.

  Mist. Mit dieser Gegenfrage hatte ich nicht gerechnet, aber bevor ich mich noch mehr blamierte, entschied ich mich für die Wahrheit. »Nein. Zumindest nicht, dass ich wüsste.«

  Wieder dieses Lächeln, diesmal war es jedoch wärmer und zeigte ein kleines Grübchen in seiner Wange. Verdammt. Auf den ersten Blick schien er wie einer dieser düsteren, unnahbaren und sexy Kerle aus den Romanen zu sein, die meine kleine Schwester so gerne las. Aber das Grübchen zerstörte diesen Eindruck, denn nun wirkte er erschreckend real. Nicht mehr wie eine Berühmtheit, der ich zufällig auf dem Flughafen begegnete und die sich unsterblich in mich verliebte, sondern wie ein ganz normaler junger Mann, vor dem ich mich mit jedem weiteren Wort, das meinen Mund verließ, noch mehr blamierte. Von wegen keine schlechte Anmache, das war die schlechteste von allen.

  »Ähm …« Sehr intelligent, Callie. Ich riss mich aus meiner Starre und räusperte mich, weil meine Kehle auf einmal so trocken war. »Dann … d-danke noch mal für die Hilfe.« Na also. Ein ganz normaler Satz. Mehr oder weniger zumindest.

  »Kein Problem.« Sein Blick verließ mich keine Sekunde. Warum musterte er mich auf diese durchdringende Weise? Und warum war sich ein Teil von mir so sicher, ihm schon einmal begegnet zu sein? Ich könnte schwören, diese Augen und dieses Gesicht irgendwo gesehen zu haben. In einer Zeitschrift vielleicht? In einem YouTube-Video? War er einer von diesen YouTube-Stars, von denen Parker ständig redete, weil sie eines seiner Lieblingsgames spielten?

  Ich hatte nicht die geringste Ahnung. Frustration mischte sich unter das Wirrwarr an Emotionen in meinem Inneren. Bevor es überhandnehmen konnte, schlang ich die Finger um den Griff meines Koffers und zog ihn so ruckartig zu mir, dass er über meine Füße rollte. Aua.

  »Auf Wiedersehen.« Hoffentlich erst in tausend Jahren. Gefühlt hatte ich mich gerade ein Dutzend Mal blamiert, dabei hatte dieser Fremde mir nur mit dem Koffer geholfen. Vermutlich hielt er mich für eine durchgeknallte Einsiedlerin. Nicht, dass er damit falsch liegen würde. Die letzten Wochen hatte ich kaum Tageslicht gesehen, weil ich rund um die Uhr für meine Examen gelernt hatte und sich meine sozialen Kontakte auf die Leichen beschränkten, die ich für meinen Anatomiekurs untersuchen durfte. Es war so lange her, seit jemand mit mir geflirtet hatte, der nicht tot war. Kein Wunder, dass ich aus der Übung war.

  Meine Wangen brannten, als ich mich abwandte und davonstapfte. Dabei war ich mir jeden Schrittes bewusst, denn die Vier-Zentimeter-Absätze meiner Stiefel untermalten sie mit dem dazugehörigen Klackern.

  »Warte mal!« Die tiefe Stimme des Fremden übertönte die anderen Geräusche um mich herum und ließ mich innehalten.

  »Ja …?« Mit klopfendem Herzen drehte ich mich zu ihm um. Hatte ich etwas vergessen? Hatte er etwas vergessen? Mir seine Handynummer zu geben vielleicht? Facebook-, Twitter-, Tumblr- oder Skypename würden es auch tun.

  Sein Blick ruhte noch immer auf mir und ich konnte beinahe körperlich spüren, wie er an mir auf- und abwanderte. Langsam. Auskostend. Als hätte dieser Kerl alle Zeit der Welt. Und mit seinem Blick begann sich auch die Hitze in mir auszubreiten, bis ich das Gefühl hatte, im Hochsommer unter der Mittagssonne zu stehen.

  Er schien etwas sagen zu wollen, zögerte dann jedoch und nickte mir schließlich zu. »Schönen Tag noch.«

  Enttäuschung wollte sich in mir breitmachen, aber ich schob das Gefühl entschieden beiseite. Es hätte wesentlich schlimmer kommen können. Mein Koffer hätte auch im Nirwana verschwinden und ich beim Versuch, ihn zu retten, auf die Nase fliegen können. Stattdessen hatte mir ein netter Fremder geholfen, der weder tot noch krank war oder mich nur ansprach, um sich meine Mitschriften aus der Psychologievorlesung auszuborgen.

  »Danke. Ebenso.« Ich warf ihm ein Lächeln zu, bevor ich mich wieder umdrehte und meinen Koffer Richtung Nordausgang hinter mir herzog.

  Die Schiebetüren glitten zur Seite und entließen mich ins Freie. Eine Wand aus Hitze und schwerer Luft schlug mir entgegen. Ich bremste ab, plötzlich entkräftet von dem Temperaturunterschied zwischen dem klimatisierten Flughafen und der Außenwelt. Himmel, ich dachte, wir hätten Mitte Mai, aber der große Feuerball da oben schien andere Pläne zu haben. Meine helle Haut prickelte bereits, als würde eine Ameisenarmada darüber krabbeln. Eine unverkennbare Warnung vor einem Sonnenbrand.

  Ich kramte in meiner Tasche nach meiner Sonnenbrille, setzte sie auf und machte mich auf den Weg zu den Parkplätzen. Faye stand im Schatten des Parkhauses neben der Tür und winkte mir entgegen, aber ich hätte sie auch so erkannt. Ihr geblümtes Kleid reichte ihr bis knapp über die Knie, und genau wie ich trug sie Cowboystiefel. Ihr Markenzeichen hatte sich in all den Jahren, die ich sie schon kannte, nicht geändert: schweres samtbraunes Haar, das ihr bis zur Hüfte fiel. Selbst jetzt trug sie es offen, obwohl das bei diesen Temperaturen mörderisch sein musste.

  »Callie!« Sie lief mir lachend entgegen und fiel mir um den Hals. Ihr blumiger Geruch, gemischt mit Seife, drang mir in die Nase und brachte mich ebenfalls zum Lächeln. Andere Mädchen hatten zehn verschiedene Parfümflakons zu Hause stehen, aber Faye hatte schon immer ein und denselben Duft getragen.

  Ich löste mich aus der Umarmung und betrachtete sie von oben bis unten. »Du siehst gut aus«, stellte ich fest. Auf ihrer Haut lag ein warmer Bronzeschimmer. Ein deutliches Zeichen dafür, dass sie mehr Zeit im Freien verbrachte als ich.

  »Du auch! Aber gegen diese Blässe müssen wir etwas unternehmen.« Sie gab mir einen Klaps gegen den Oberarm. »Hat dir niemand gesagt, dass die Zeiten vorbei sind, in denen das im Trend lag?«

  »Aua. Ich musste für meine Prüfungen lernen.«

  »Wo? Im Bunker?«

  »So ähnlich.« Grinsend hakte ich mich bei ihr unter. »Fahren wir? Oder sollen wir weiter hier herumstehen, bis aus meiner noblen Blässe ein Sonnenbrand wird?«

  Faye schnalzte mit der Zunge, zog mich aber ohne jeden weiteren Kommentar mit sich. Ich hatte mein Elternhaus noch nicht mal betreten, trotzdem breitete sich schon jetzt ein vertrautes Gefühl in mir aus. Ich war zu Hause.

  »Da wären wir.« Faye stellte den Motor ab.

  Ich folgte ihrem Blick zu dem Haus, in dem ich die zweite Hälfte meiner Kindheit verbracht hatte. Es war im späten neunzehnten Jahrhundert im typischen Kolonialstil erbaut worden. Die Fassade hatte man offenbar vor Kurzem neu gemacht, sie erstrahlte in blendendem Weiß, und die großen Fenster glänzten in der Nachmittagssonne. Mein Blick blieb am einzigen Fenster im zweiten Stock hängen. Genau dort, direkt unterm Dach, war mein Reich gewesen. Unzählige Stunden hatte ich in meiner Nische auf dem Fensterbrett verbracht, hatte gelesen, geschrieben und auf das riesige Grundstück hinter dem Haus hinuntergeschaut. Vom Auto aus konnte ich jedoch nur in den Vorgarten sehen. Wie immer war er gepflegt, der Rasen getrimmt, aber hier und da lugte Unkraut hervor, und auf der doppelseitigen Veranda lagen ein Buch und eine Decke vergessen auf der Hollywoodschaukel. Typisch Holly. Meine kleine Schwester hatte schon immer die Angewohnheit gehabt, ihre Sachen überall abzulegen und dann zu vergessen.

  Ein seltsames Gefühl von Wehmut legte sich über mich. Ein letzter Sommer, dann würde auch Holly ausziehen. Unsere Kindheit war endgültig vorbei. Wer wusste schon, wann und ob wir nach diesem Sommer hierher zurückkehren würden?

  Ich löste mich aus meiner Trance u
nd wandte mich Faye zu, die mich aufmerksam betrachtete. Wie lange war es jetzt her, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten? Früher hatten wir jeden Tag miteinander verbracht, inzwischen beschränkte sich unser Kontakt auf sporadische Telefonate, WhatsApp- und Facebooknachrichten. Trotzdem hatte sie ohne zu zögern angeboten, mich vom Flughafen abzuholen, was ich ihr hoch anrechnete.

  »Danke, dass du mich hergefahren hast.«

  Sie lachte überrascht auf. »Soll das ein Witz sein? Ich bin froh, mal rauszukommen – auch wenn es nur bis nach Atlanta und zurück ist.«

  Ich löste meinen Sicherheitsgurt und lehnte mich für eine Umarmung zu ihr rüber. Sie wiederzusehen hüllte mich in ein bittersüßes Gefühl von Wärme und Vertrautheit. Als ich nach unserem Highschoolabschluss weggezogen war, hätte ich sie am liebsten eingepackt und mitgenommen. Daran hatte sich bis heute nichts geändert.

  »Hey, du erdrückst mich!«, beschwerte sie sich, doch als ich mich von ihr löste, lächelte sie mich an. »Komm erst mal richtig an. Wir sehen uns Freitagabend.«

  Ich nickte heftig. »Den alten Billy zu ärgern, würde ich mir doch nie entgehen lassen. Oh, und deine Geburtstagsparty auch nicht.« Ich stieg aus, bevor sie gewalttätig werden konnte, aber sie lachte nur.

  »Du hast dich kein bisschen verändert«, rief sie, während ich den Wagen umrundete, um mein Gepäck aus dem Kofferraum zu hieven.

  »Du auch nicht.« Ich kehrte zur Beifahrertür zurück. »Ich möchte jedes Detail zu diesem Ring an deinem Finger wissen. Eine kurze Nachricht bei WhatsApp reicht einfach nicht.«

  Eine sanfte Röte legte sich auf ihre Wangen, aber sie nickte heftig. Andere Frauen hielten dir ihren Verlobungsring unter die Nase, ob du ihn sehen wolltest oder nicht, aber Faye ließ das Thema einfach unter den Tisch fallen. Sie hatte die ganze Autofahrt über kein Wort darüber verloren, und ich hatte sie nicht drängen wollen, aber spätestens bei ihrer Hochzeit würde sie sich damit abfinden müssen, im Mittelpunkt zu stehen.